Kommt jetzt die grosse Inflation?

Explosives Gemisch: Die Inflationsraten in Euroland steigen immer weiter. EZB-Chef Trichet könnte dem mit einer Erhöhung der Leitzinsen Einhalt gebieten. Deutschland würde das nützen.

Aber die schuldengeplagten Euro-Staaten bekämen ein arges Problem. Lange war sich die Finanzgemeinde einig, dass die Europäische Zentralbank (EZB) frühestens zum Jahresende 2011 den Leitzins erhöht – das würde die Inflation bremsen, weil Kredite dann teurer würden, weniger nachgefragt werden und deshalb weniger Geld in den Umlauf kommt.
Doch ausgerechnet jetzt, wo Axel Weber als Chef der Deutschen Bundesbank seinen Hut nimmt, verdichten sich die Zeichen, dass es zu einer steigenden Inflation kommt. Die Inflationswerte klettern nach oben. In immer kürzeren Abständen warnt EZB-Präsident Jean-Claude Trichet vor kurzfristig steigenden Teuerungsraten. Auf mittlere Sicht erkennt er bislang keine allzu große Gefahr. Deutschland muss wohl mit etwas mehr Inflation leben, damit der Rest Europas wieder Tritt fassen kann – ein brisanter Spagat.

Zinsanstieg wäre Gift für Schuldenstaaten: Im Januar 2011 lagen die Verbraucherpreise nach einer Schätzung des europäischen Statistikamtes Eurostat um 2,4 Prozent über dem Vorjahresmonat. Stärker stiegen die Preise seit Oktober 2008 nicht mehr. Trichet müsste eigentlich handeln, die Zinsen erhöhen und damit die Geldmenge begrenzen. Schließlich hat die EZB eine mittelfristige Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent als Orientierungsmarke für sich festgelegt. Doch so einfach ist das nicht, Trichet steckt tief in einem Dilemma. Für Deutschland, wo die Wirtschaft auffallend stark brummt, würde das funktionieren. Nicht aber für Europa. Im Mai 2009 senkten Trichet und seine Kollegen im EZB-Rat den Euro-Leitzins auf ein Prozent und ließen das niedrige Zinsniveau bis heute unverändert. Die deutsche Volkswirtschaft würde eine Zinserhöhung wohl ohne große Probleme verkraften – nicht aber die hochverschuldeten Staaten wie Griechenland, Irland, Portugal und Spanien.
Sie bekämen höhere Leitzinsen besonders zu spüren. Die Kosten für Kredite würden sich dadurch verteuern, die Rettungsaktionen der Krisenstaaten ebenso.

Verteuerte Rohstoffe: Außerdem kämpft die EZB mit einem weiteren Problem: Vor allem Energie, Rohstoffe und Nahrungsmittel haben sich durch den globalen Aufschwung in letzter Zeit immer weiter verteuert. Der Preis für Rohöl etwa ist innerhalb der vergangenen sechs Monate um rund ein Viertel gestiegen.
Agrargüter wurden ebenfalls spürbar teurer. Allgemeinen Preissteigerungen kann die Notenbank mit Zinserhöhungen begegnen. Doch gegen Preissteigerungen in einzelnen Segmenten ist sie machtlos, weil Rohstoffe und Nahrungsmittel unverzichtbar sind. Als Indikator für die Inflationsentwicklung gelten die Großhandelspreise. Seit Jahren weisen sie den Trend, wohin es mit den Teuerungsraten geht. Im vergangenen Jahr stiegen die Preise für Großhandelsprodukte um beinahe sechs Prozent. Sie steigen weiter – ein Zeichen dafür, dass es mit den Inflationsraten ebenfalls aufwärts geht.

Inflation klettert weltweit: Der Preisanstieg, der in der Euro-Zone die Marke von zwei Prozent überschritten hat, wird von den Verbrauchern häufig stärker wahrgenommen. Kein Wunder: Als Referenzwert zieht die EZB einen Warenkorb heran, der eine Auswahl an Gütern und Dienstleistungen bündelt. Die gefühlte Inflation allerdings ist deutlich stärker: An der Tankstelle reiben sich Autofahrer verwundert die Augen über die Rekordhöhen der Spritpreise. Wer Gemüse kauft, muss auch deutliche Preisanstiege in Kauf nehmen. Da hilft es der Wahrnehmung wenig, dass beispielsweise TV-Geräte oder sonstige Unterhaltungselektronikprodukte eher billiger werden.

Die Teuerung ist nicht auf Deutschland und andere Euro-Staaten beschränkt. Die Inflationsraten klettern weltweit. Bislang ist das vor allem steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen geschuldet. Doch das Risiko, dass der Auftrieb auf andere Bereiche überschwappt, steigt. Wenn sich die weltweite Konjunktur sowie die Lage am Arbeitsmarkt weiter verbessert, droht eine gefährliche Spirale aus steigenden Löhnen und weiter anziehenden Preisen – was dann auch in Deutschland zu einer nachhaltigen Inflation führen wird. Die kletternden Preise für Energie und Lebensmittel wecken Erinnerungen an die Jahre 2007 und 2008. Die Inflationsrate im Euroraum hatte sich damals innerhalb weniger Monate von rund zwei auf beinahe vier Prozent geschraubt. Erst als die Weltwirtschaft in Folge der Lehman-Pleite in die Rezession rauschte, ging der Preisblase die Luft aus. Im Jahr 2009 rutschten die Teuerungsraten sogar in den negativen Bereich. Die Angst vor einer Deflation machte sich breit.

Inzwischen ist die Lage anders. Inflationssorgen kursieren rund um den Globus. Als Folge der lockeren Geldpolitik der Notenbanken, auch der EZB, ist ein riesiger Überschuss an frischem Geld entstanden. Nach einer Berechnung der italienischen Großbank Unicredit hat sich die weltweite Geldmenge seit dem Jahr 1980 mehr als verzehnfacht. Die globale Gütermenge hingegen legte nur um das Sechsfache zu. Ergo: Zu viel Geld steht zu wenigen Gütern gegenüber. Ein Ungleichgewicht, woraus Inflation entsteht.

Quelle: ZDF heute.de, von Ulrich Reitz, 17.02.2011